Neue Entwicklungen im Bereich der Überschuldung nach der Aktienrechtsrevision und neue Entscheide im Bereich der Emissionsabgabe

Bereits in früheren Newsletter Beiträgen haben wir eine kurze Übersicht der Neuerungen und Änderungen im Aktienrecht skizziert, welche am 1. Januar 2023 in Kraft getreten sind. Vorliegend soll nun im Besonderen auf die Auswirkungen der Aktienrechtsrevision im Obligationenrecht im Zusammenhang mit einer Sanierung (Überschuldung) eingegangen werden.

Zudem wird ein aktueller Entscheid des Bundesgerichts (Leitentscheid) im Zusammenhang mit der «Emissionsabgabe» im Falle einer Sanierung erläutert.

Auswirkungen der Aktienrechtsrevision 2023 im Falle einer Überschuldung

Die Revision des Aktienrechts hat unter anderem die Pflichten des Verwaltungsrates (nachfolgend «VR») im Falle von Sanierungsmassnahmen (insb. bei einer Überschuldung) konkretisiert. Laut Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23. November 2016 ist für die Beurteilung der Kapitalschutzvorschriften die Landeswährung heranzuziehen. Aufgrund des Vorsichtsprinzips ist eine allfällige Überschuldung sowohl in Schweizer Franken als auch in der ausländischen Währung darzustellen. Zeigt eine der Darstellungen kritische Werte, so werden die entsprechenden Handlungspflichten des VR ausgelöst, egal ob der Wert zuerst in Schweizer Franken oder in der ausländischen Währung erreicht wird. Sollte der VR diesen Pflichten nicht nachkommen, besteht ein Risiko der Organhaftung. Eine Gesellschaft ist überschuldet, wenn der Kapitalverlust (Verlustvortrag) das gesamte Eigenkapital und einen Teil des Fremdkapitals überschreitet. Dies bedeutet, dass die Aktiven der Gesellschaft die Verbindlichkeiten nicht mehr decken. 

Besteht begründete Besorgnis, dass die Gesellschaft sanierungsbedürftig sein könnte, ist der VR seit der Revision des Aktienrechts dazu angehalten unverzüglich je einen Zwischenabschluss zu Fortführungswerten und Veräusserungswerten (dies bedeutet im Umkehrschluss, dass zwei unterschiedliche Abschlüsse zu verfassen sind) zu erstellen. Auf den Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten kann verzichtet werden, wenn die Annahme der Fortführung gegeben ist und der Zwischenabschluss zu Fortführungswerten keine Überschuldung aufweist. Ist die Annahme der Fortführung nicht gegeben, so genügt ein Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten. Der VR lässt die Zwischenabschlüsse durch die Revisionsstelle oder, wenn eine solche fehlt (im Falle eines «Opting-Out»), durch einen zugelassenen Revisor prüfen. Dies wiederum führt zu zusätzlichen Kosten auf Seiten der Gesellschaft, um die Kosten der Revisionsgesellschaft zu begleichen sowie einem weiteren administrativen Aufwand. 

Ist die Gesellschaft gemäss den beiden Zwischenabschlüssen überschuldet, so benachrichtigt der VR das Gericht. Die Benachrichtigung des Gerichts kann unterbleiben, wenn: 

  • Ein Rangrücktritt in Höhe des geschuldeten Betrages sowie den Zinsforderungen vorliegt; oder
  • Begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung innert angemessener Frist, spätestens aber 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüssen, behoben werden kann und dass die Forderungen der Gläubiger und Gläubigerinnen nicht zusätzlich gefährdet werden. 

Passivdarlehen von Aktionärinnen oder Aktionären oder auch von andern Gruppengesellschaften können zu einer Überschuldung führen. Eine Möglichkeit diese Überschuldung zu beheben, welche die Forderungen der Gläubiger und Gläubigerinnen nicht zusätzlich gefährdet, ist die Verrechnungsliberierung (sog. «Debt-Equity-Swap mit Agiobildung»). Bei dieser wird eine entsprechende Erhöhung des Eigenkapitals durchgeführt durch Umwandlung der Forderungen in Aktien- oder Stammkapital und in die Reserven. Bei einer Kapitalerhöhung können neben dem Nominalwert der Kapitalerhöhung ebenfalls ein Aufgeld (sog. «Agio») geleistet werden. Dieses Agio kann anschliessend den Kapitaleinlagereserven (nachfolgend «KER») gutgeschrieben werden. Dies gilt jedoch nur, wenn das Aufgeld von den Aktionären geleistet wird. 

Aktueller Entscheid des Bundesgerichts im Zusammenhang mit der Emissionsabgabe im Falle einer Sanierung

Kurze Erläuterung der bisherigen Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung 

Die ständige Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung (nachfolgend «ESTV») besteht darin, dass im Falle einer Sanierung die vorhandenen Verluste buchhalterisch mit dem Zuschuss verrechnet werden müssen. Ein Zuschuss lediglich in die Reserven einer Gesellschaft ist nicht ausreichend, um vom Freibetrag in Höhe von CHF 10 Mio. bei einer Sanierung profitieren zu können (Kreisschreiben Nr. 32 «Sanierung von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften» vom 23. Dezember 2010). Dies bedeutet mit anderen Worten, dass die Freigrenze von CHF 10 Mio. nicht beansprucht werden kann, wenn gleichzeitig eine Kapitaleinlagereserve (nachfolgend «KER») gebildet wird. Dies obschon rein buchhalterisch die Summe des Eigenkapitals bei Verrechnung der Verluste oder Bildung von KER identisch bleibt und die Überschuldung der Gesellschaft beseitigt werden konnte. 

Kurze Beschreibung des strittigen Sachverhalts 

Das Bundesgericht nahm den folgenden Sachverhalt zum Anlass, einen Grundsatzentscheid zum Freibetrag von CHF 10 Mio. zu fällen (BGer Urteil 9C_610/2022 vom 7. September 2023 – zur Publikation vorgesehen) und hat mit diesem die bisherige Praxis der ESTV bzgl. Anspruch des Freibetrags von CHF 10 Mio. bestätigt (anders als das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. November 2021). 

Eine Gesellschaft (nachfolgend «X AG»), mit Sitz im Kanton Zürich, hat aufgrund einer Überschuldung ein Sanierungskonzept erarbeitet und diesbezüglich ebenfalls eine Rulinganfrage bei der ESTV eingereicht. Im Rahmen des Sanierungskonzept wurde neben der Rangrücktrittsvereinbarung mit der Grossmuttergesellschaft ebenfalls ein mehrstufiges Programm zur Beseitigung der Überschuldung dargelegt. In einem ersten Schritt wurde eine Kapitalerhöhung vorgenommen und in einem zweiten Schritt die rechtsformändernde Umwandlung von einer GmbH in eine AG. Die Kapitalerhöhung erfolgte durch Verrechnung mit Passivdarlehen, die zugunsten der Aktionärin bestanden haben (sog. Verrechnungsliberierung oder «Debt-Equity-Swap mit Agiobildung»). Zusätzlich wurde im Rahmen der Kapitalerhöhung ein Agio/Zuschuss (der Zuschuss lässt das nominelle Gesellschaftskapital unberührt, erhöht aber die Reserven) geleistet, welches mit dem Passivdarlehen erbracht und den Reserven gutgeschrieben wurde. Die X AG hat in einem Schreiben der ESTV mitgeteilt, dass der empfangene Zuschuss zur Ausbuchung des Bilanzverlustes verwendet wird und aufgrund dessen der Tatbestand der Sanierungsmassnahme gegeben ist – somit der Freibetrag von CHF 10 Mio. zur Anwendung kommt. Im Rahmen der Buchprüfung durch die ESTV wurde festgestellt, dass der aus der Kapitalerhöhung resultierende Zuschuss den KER gutgeschrieben und mithin nicht zur Verlustausbuchung herangezogen wurde. Die Ausbuchung der Verluste erfolgte nicht schon im Zeitpunkt der Verrechnungsliberierung, sondern erst ca. 2.5 Jahre später. 

Der Sachverhalt wurde vorgängig durch das Bundesverwaltungsgericht beurteilt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil (A-5073/2020) vom 29. November 2021 entgegen der ständigen Praxis der ESTV entschieden, dass für die Beanspruchung des Freibetrags in Höhe von CHF 10 Mio. die Verluste buchhalterisch nicht ausgebucht werden müssen und der Erlass der Emissionsabgabe gewährt werden kann.

Entscheid des Bundesgerichts

Vor Bundesgericht was es unter anderem strittig, ob eine tatsächliche buchhalterische Verbuchung (resp. «Beseitigung») der Verluste durchgeführt werden muss um den Freibetrag von CHF 10 Mio. beanspruchen zu können. Das Bundesgericht hielt diesbezüglich folgendes fest; 

  • Differenzieren zwischen dem Erlass der Steuer und dem Freibetrag

Erlass der Steuer: Bei einem Erlass ist die Steuer (resp. die Emissionsabgabe) geschuldet. Allerdings wird auf die Erhebung der solchen im Falle einer offenbaren Härte für die steuerpflichtige Person verzichtet. 

Freibetrag: Beträge von bis zu CHF 10 Mio. im Falle von offenen und stillen Sanierungen sind von der Emissionsabgabe ausgenommen und somit ist die Steuer bis zu diesem Freibetrag nicht geschuldet. 

  • Voraussetzung für Erlass der Steuer und dem Freibetrag

Erlass der Steuer: Eine Gesellschaft, welche Sanierungsmassnahmen ergreift, muss für die Geltendmachung des Erlasses der Emissionsabgabe im Falle einer offenbaren Härte entgegen der bisherigen Praxis der ESTV ihre Verluste nicht mehr buchhalterisch ausbuchen, sondern kann KER bilden. Hier sind weitere strengere Voraussetzungen zu erfüllen, damit der Erlass der Steuer bewilligt wird. 

Freibetrag: Sollte eine Gesellschaft den Freibetrag von bis zu CHF 10 Mio. beanspruchen wollen, muss die Verluste tatsächlich ausbuchen. Diese Ausbuchung der Verluste hat zeitgleich mit den Sanierungsmassnahmen zu erfolgen. 

Was heisst dies für Sie?

Sanierungsmassnahmen lösen diverse Steuerfolgen aus (unter anderem Emissionsabgaben und Gewinnsteuern). Daher kann sich eine frühzeitige degradierte Prüfung der geplanten Sanierungsmassnahmen lohnen, um die möglichen steuerlichen Risiken zu identifizieren. Im Falle einer Sanierung empfiehlt es sich daher, die Sanierungsmassnahmen gut zusammenzustellen, um von den verfügbaren Steuerbefreiungen oder -erlassen profitieren zu können und so einen Geldabfluss zu einem kritischen Zeitpunkt in der Existenz des Unternehmens zu vermeiden.

Zudem ist darauf aufmerksam zu machen, dass aufgrund des Entscheids des Bundesverwaltungsgerichts die diesbezügliche Praxis der ESTV bei Sanierungsmassnahmen eingeplant werden muss.

Beitrag von Dominique Roggo und Caryl Neuenschwander