Neue Entwicklungen im Bereich des «Kapitaleinlageprinzips»

Bereits in früheren Beiträgen haben wir eine kurze Übersicht der Neuerungen und Änderungen im Aktienrecht, welche am 1. Januar 2023 in Kraft getreten sind, skizziert. Für weitere Informationen verweisen wir Sie gerne auf unsere Tax e-Newsletters vom März 2022 «Revision des Aktienrechts: Auf dem Weg zu einer flexiblen Finanzierung!» sowie «Neues Aktienrecht: Anpassung der Statuten Ihrer AG / GmbH in weniger als zwei Jahren» vom März 2023. Vorliegend soll nun im Besonderen auf die Auswirkungen der Aktienrechtsrevision im Obligationenrecht auf das sogenannte «Kapitaleinlageprinzip» eingegangen werden. Zudem wird ein aktueller Entscheid des Bundesgerichts (Leitentscheid) im Zusammenhang mit dem Kapitaleinlageprinzip erläutert.

Auswirkungen der Aktienrechtsrevision 2023 auf das «Kapitaleinlageprinzip»

Aufgrund der Möglichkeit, dass Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung) ihr nominelles Kapital nun in Fremdwährung (GBP, EUR, USD und JPY) führen können sowie der Einführung des Kapitalbands bei Aktiengesellschaften, hat die Eidgenössische Steuerverwaltung (nachfolgend «ESTV») das neue Kreisschreiben Nr. 29c «Kapitaleinlageprinzip» vom 31. Dezember 2022 publiziert. Dieses neue Kreisschreiben berücksichtigt nun die Änderungen der neusten Aktienrechtsrevision sowie die damit zusammenhängenden steuerlichen Auswirkungen. 

  • Nominelles Kapital in Fremdwährung: Ändert eine Kapitalgesellschaft auf den Beginn eines Geschäftsjahres ihr nominelles Kapital in eine für die Geschäftstätigkeit wesentliche ausländische Währung, so ist der Bestand für den Ausweis im Jahresabschluss der von der ESTV bestätigten Reserven aus Kapitaleinlagen (nachfolgend «KER») ebenfalls zum Kurs gemäss Bestimmungen des Obligationenrechts umzurechnen. Der so errechnete Bestand an KER in der für die Buchführung und Rechnungslegung massgeblichen ausländischen Währung ist im ordentlichen Verfahren der ESTV zu melden. Die von der Kapitalgesellschaft berechneten KER bzw. Wertdifferenzen der KER werden gewinnsteuerunwirksam dem Gewinn-/Verlustvortrag oder den freien Gewinnreserven belastet bzw. gutgeschrieben. Für die Meldung der Verrechnungssteuer hat die Kapitalgesellschaft innert 30 Tagen nach Publikation des Währungswechsels im Schweizerischen Handelsamtsblatt ein separates Formular inkl. Zusatzblatt mit der Währungsumrechnung sowie einer Kopie der öffentlichen Urkunde bei der ESTV einzureichen. Sollte eine Kapitalgesellschaft ihr nominelles Kapital weiterhin in Schweizer Franken (nachfolgend «CHF») führen und lediglich ihre Buchführung in der funktionalen Währung haben, ist die KER nach wie vor in CHF umzurechnen.
  • Kapitalband: Der Beschluss des Kapitalbandes fällt dahin, wenn die Generalversammlung beschliesst die Währung des Aktienkapitals zu ändern. Die Statuten sind entsprechend anzupassen. Die während der Gültigkeit eines Kapitalbandes geleitsteten Einlagen und Aufgelder, werden der KER gutgeschrieben (sog. «Nettobetrachtung»), sofern diese Beträge die Rückzahlungen der Reserven im Rahmen des Kapitalbands übersteigen. Für die Zwecke der Verrechnungssteuer sind Einlagen in die KER (z.B. Agio), erst nach Beendigung des Kapitalbands mittels entsprechenden Formulars bei der ESTV zu melden. 

Aktueller Entscheid des Bundesgerichts im Zusammenhang mit dem Kapitaleinlageprinzip

Das Bundesgericht nahm den folgenden Sachverhalt zum Anlass, einen Grundsatzentscheid zur steuerfrei Rückzahlung von offene oder auch verdeckte Kapitaleinlagen zu fällen (BGer Urteil 9C_678/2021 vom 17. März 2023 – zur Publikation vorgesehen).

Eine Aktiengesellschaft (nachfolgend «X AG») mit Sitz im Kanton Nidwalden hat im Dezember 2003 eine Liegenschaft (Grundbesitz mit Hotelgebäude) zusammen mit entsprechenden Hypothekarschulden in Deutschland von ihrer Alleinaktionärin erworben. Die gegenseitigen Forderungen zwischen der X AG und der Alleinaktionärin, aufgrund des Erwerbs der Liegenschaft sowie der Übernahme der Hypothekarschulden, wurden teilweise miteinander verrechnet. Im Zeitraum von 2004 bis 2014 bilanzierte die X AG die Liegenschaft in ihren Aktiven (weit) unter dem Anschaffungswert der Liegenschaft aus dem Jahre 2003 und verbuchte entsprechend die übernommenen Hypothekarschulden in ihren Passiven nicht oder nur teilweise. Die Liegenschaft wurde im Zuge der Liquidation der X AG im Jahr 2015 verkauft und die Alleinaktionärin hat die Hypothekarschulden unentgeltlich von der X AG wieder übernommen. Das Kantonale Steueramt Nidwalden rechnete aufgrund einer verdeckten Gewinnausschüttung in der Veranlagungsverfügung 2015 die Differenz zwischen Verkaufserlös und Buchwert der Liegenschaft, als Liquidationsgewinn aus verdeckten Kapitaleinlagen, bei der Alleinaktionärin als Einkommen auf. 

Vor Bundesgericht war unter anderem strittig, ob die Vorinstanz die unentgeltliche Schuldübernahme durch die Alleinaktionärin zu Recht als verdeckte Kapitaleinlage in die X AG charakterisiert hat, welche bei einer Rückzahlung steuerbar ist. Das Bundesgericht hielt diesbezüglich folgendes fest: 

  • Kapitaleinlage: Der Begriff der «Kapitaleinlage» umfasst neben Aufgeldern und Zuschüssen auch alle anderen Arten und Formen von Einlagen in das Eigenkapital einer Gesellschaft. Im zu beurteilenden Sachverhalt steht eine privative Übernahme einer Schuld der X AG durch die Alleinaktionärin zur Diskussion. Die private Schuldübernahme durch die Alleinaktionärin ohne Regressforderung gegenüber der X AG begründet gemäss Bundesgericht eine Kapitaleinlage, sofern es sich nicht um einen erfolgswirksam verbuchten Forderungsverzicht in einer Sanierungssituation handelt. Was vorliegend nicht gegeben ist.
  • Verdeckte oder offenen Kapitaleinlage: Von verdeckten – im Unterschied zu offenen – Kapitaleinlagen wird gesprochen, wenn die Kapitaleinlage in den Büchern der empfangenden Gesellschaft nicht oder nicht mit dem tatsächlichen Wert abgebildet wird. Die X AG hat die Befreiung von der Hypothekarschuld durch die Alleinaktionärin nicht in ihren Büchern abgebildet. Demnach ist die Zahlung der X AG als Rückzahlung einer verdeckten Kapitaleinlage zu betrachten.
  • Steuerbare oder steuerfreie Ausschüttung: Gemäss bisheriger Praxis der ESTV qualifizieren nur Einlagen, Aufgelder und Zuschüsse, welche direkt von den Inhabern der Beteiligungsrechte geleistet worden und in der Handelsbilanz der empfangenden Kapitalgesellschaft verbucht und offen ausgewiesen sind, als Kapitaleinlage. Verdeckte Kapitaleinlagen stellen demnach nach der Ansicht der ESTV keine KER dar, die steuerneutral zurückbezahlt werden kann, sondern gelten gemäss ESTV als übrige Reserven. Das Bundesgericht kam im vorliegenden Entscheid nach Auslegung des Gesetzes über die direkte Bundessteuer entgegen der bisherigen Praxis der ESTV zum Schluss, dass es sich bei der Schuldübernahme ohne Gegenleistung durch die Alleinaktionärin um eine Kapitaleinlage im Sinne der KER handelte und somit die Kapitaleinlage steuerfrei zurückbezahlt werden kann. Der Wortlaut verlange nicht, dass die Kapitaleinlage bei der zurückzuzahlenden Gesellschaft auf einem separaten Konto verbucht worden ist. Im Unterschied zum Gesetz über die direkte Bundessteuer setzt das Verrechnungssteuergesetz ausdrücklich voraus, dass die Reserven aus Kapitaleinlagen von der Kapitalgesellschaft in der Handelsbilanz auf einem gesonderten Konto ausgewiesen werden und die Gesellschaft jede Veränderung auf diesem Konto der ESTV meldet. 

Das Bundesgericht betonte in seinem Leiturteil, dass die steuerfreie Ausschüttung von verdeckten Kapitaleinlagen nur für die Einkommenssteuer und nicht für die Verrechnungssteuer gelte. 

Was heisst dies für Sie?

Das Bundesgericht hat in dem hier erläuternden Leitentscheid festgehalten, dass verdeckte Kapitaleinlagen analog KER im Zusammenhang mit der Einkommenssteuer steuerneutral zurückbezahlt werden kann. Allerdings hat das Bundesgericht ebenfalls darauf hingewiesen, dass dies für die Einkommenssteuer und nicht für die Verrechnungssteuer anwendbar ist. Die Verfahrensvorschriften im Zusammenhang mit der Verrechnungssteuer sind nach wie vor zu beachten. Hierbei kann eine steuerliche Beratung helfen.

Beitrag von Dominique Roggo und Caryl Neuenschwander