Digitales Nomadentum birgt Risiken

Neue Zürcher Zeitung - 27.11.2023

Im Winter im Süden arbeiten – das klingt verführerisch, kann aber Steuerforderungen oder sogar Abschiebehaft zur Folge haben

Nicht viele Menschen in Finns Firma wissen, dass er mittlerweile einen grossen Teil des Jahres von Spanien aus arbeitet. Wie er jüngst der «Süddeutschen Zeitung» erzählte, muss er deswegen in Meetings oft darauf achten, dass man über die Webcam nicht das schöne Wetter vor seinem Fenster sieht. Zwar dürfte Finn laut Firmenreglement 180 Tage im Jahr im EU-Ausland arbeiten – der bürokratische Aufwand, dies auf dem vorgeschriebenen Weg zu tun, ist ihm aber zu hoch. Hinzu kommt die Sorge, in Spanien Steuern zahlen zu müssen.

So wie Finn, glaubt Isabelle Wildhaber, machten es wohl einige Arbeitnehmer.  «Viele  Unternehmen  agieren nach dem Motto ‹don’t ask, don’t tell›. Der Auslandsaufenthalt ist vielleicht unter der Hand mit dem Teamleiter abgesprochen, nicht aber mit der Personalabteilung.» Wildhaber ist Jus-Professorin an der Universität St. Gallen und Gründerin des Startups Vamoz, das Unternehmen bei der rechtlichen Umsetzung von Remote Work im Ausland unterstützt. Sie sagt: «Die juristischen Risiken, die das Arbeiten im Ausland mit sich bringt, können Arbeitgeber auch dann treffen, wenn sie so tun, als hätten sie nichts mitbekommen.»

So besteht etwa die Gefahr, versehentlich eine Betriebsstätte zu gründen, was steuerrechtliche Konsequenzen für den Arbeitgeber hätte. Ebenso können Arbeitnehmer Probleme bekommen: Wenn sie zu lange im Ausland bleiben, werden sie dort steuer- oder sozialversicherungspflichtig  und  fliegen aus dem schweizerischen Versicherungssystem. Welche Regelungen in welchem Fall gelten, ist von Land zu Land verschieden. Die Komplexität des Themas ist ein Grund, weshalb viele Unternehmen das Arbeiten im Ausland nicht gestatten – aus Angst, in eine rechtliche Falle zu tappen.

Das kann dann dazu führen, dass Mitarbeiter heimlich ins Ausland verschwinden. «Oftmals kommt erst ans Tageslicht, dass jemand im Ausland ist, wenn  Probleme auftauchen», erzählt Gordana Muggler, die Verantwortliche für Global Mobility Services beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Mazars. Während der Corona-Pandemie hätten gerade in internationalen Unternehmen einige Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz ins Ausland verlegt. «Wenn das Unternehmen dann hinterher die Möglichkeiten zum Home-Office wieder einschränken möchte, kommt heraus, dass manche gar nicht mehr in der Schweiz sind.» Auch die Berichterstattung in den Medien hat laut Muggler dazu beigetragen, dass Mitarbeiter unbedarft ins Ausland verschwinden. «Man liest ständig, es sei alles möglich, und heutzutage könne man von überall aus arbeiten. Aber das ist nicht seriös.»

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NZZ_​27.11.2023